Krefeld
1960 war Jean Tinguely gleich zweimal in Museen in Krefeld zu sehen – im Kaiser Wilhelm Museum, als in der Ausstellung Multiplizierte Kunstwerke, die sich bewegen lassen die Edition MAT präsentiert wurde, sowie im Herbst als seine erste erste museale Einzelausstellung im Haus Lange gezeigt wurde.
Die Edition MAT – Multiples d’Art Transformables – wurde 1959 von Daniel Spoerri ins Leben gerufen. Er lebte in Paris, in der berühmten Chambre No 13 im Hotel Carcassonne in der Rue Mouffetard (das er später mehrfach nachbaute) und war schon seit seinem ersten Aufenthalt in Paris ab 1952 bestens mit der Kunstszene vernetzt. Die Idee der Edition MAT war es, Werke verschiedener Künstler preiswert herstellen und anbieten zu können. Es beteiligten sich: Yacoov Agam, Josef Albers, Pol Bury, Marcel Duchamp, Heinz Mack, Dieter Roth, Jesùs Rafael Soto, Jean Tinguely und Victor Vasarely. Dabei sollte es sich nicht um Reproduktionen im üblichen Sinne handeln, sondern um multiplizierte Originale, in erster Linie kinetische Objekte. Die Idee sei wichtiger als die persönliche Handschrift des Künstlers. Tinguely schuf für die Edition MAT die Constante indéterminée, eine Maschinen-Skulptur, in der verschiedene Objekte eingespannt und in Rotation versetzt werden konnten.
Die Ausstellung im Haus Lange brachte eine Übersicht der ersten 6 Schaffensjahre Tinguelys zusammen. Das Museum Haus Lange befindet sich in einem ikonischen Bau von Ludwig Mies van der Rohe, der dieses sowie das benachbarte Haus Esters 1927 für Krefelder Textilfabrikanten entworfen hatte. Das Haus Lange wird seit 1955 als Museum genutzt (Haus Esters seit 1981). Die Architektur des Baus eignet sich in idealer Weise für die Präsentation von zeitgenössischer Kunst, bereits vor Tinguely war Alexander Calder und im Jahr nach ihm Yves Klein zu Gast. Die Tradition, in den Häusern jungen Künstler*innen Ausstellungen auszurichten, wird bis heute weitergeführt. Diese Nachkriegszeit wurde von 1947 bis 1975 von Paul Wember geprägt, dem Direktor der Kunstmuseen Krefeld, der auch als Kurator der Ausstellung im Haus Lange fungierte. Tinguely ergänzte den Ausstellungskatalog mit unüblichen Elementen: Zum einen enthielt dieser eine Originalzeichnung einer Méta-Matic, zum anderen erstellte er in einem Extraheft eine detaillierte Bauanleitung zur Herstellung des Reliefs Maschinenbild Haus Lange. Paul Wember schrieb in der Bauanleitung:
«Wenn Sie die Maschine planmässig erstellt haben, schicken Sie bitte eine Photographie derselben mit dem Etikett, das dieser Anleitung beiliegt, an das Museum Haus Lange. Wir besorgen Ihnen dann eine Signatur von Jean Tinguely, die das Bild als Originalwerk kennzeichnet.»
Ende der 1960er Jahre hatten die Pariser Galeristin Denise René und der Krefelder Galerist Hans Mayer ein gemeinsames Haus in der Stadt. Hier zeigten sie mehrfach Gruppenausstellungen mit Beteiligung von Jean Tinguely, insbesondere aber präsentierten sie Ende 1968 Tinguelys Requiem pour une feuille morte, das dieser für den Schweizer Pavillon an der Expo 67 in Montréal geschaffen hatte. Dieses monumentale, 11 Meter breite Relief ist heute im Besitz der Sammlung Renault und ist ein Höhepunkt im Œuvre von Jean Tinguely.