Rotozaza II - Jean Tinguelys Zerstörungsaktionen der 1960er Jahre
16. November 2010 – 23. Januar 2011
Das Museum Tinguely präsentiert begleitend zur Ausstellung Under Destruction die grossen Zerstörungsaktionen von Jean Tinguely. Zwischen 1960 und 1970 führte der Künstler vier Aktionen durch, bei denen sich Skulpturen und Installationen selbst zerstörten. Diese werden nun mit Film, Fotografie, Zeichung und weiteren Dokumenten umfassend vorgestellt. Gleichzeitig wird die Flaschenzertrümmerungsmaschine Rotozaza II von 1967 mit täglich stattfinden Performances in Aktion gezeigt. Was Under Destruction und die Präsentation von Tinguelys Zerstörungsaktionen verbindet, ist das poetische Potential destruktiver Akte zwischen Schöpfung und Zerstörung. Während jedoch heute die Kritik an Konsumismus und Überproduktion im Vordergrund steht, waren es vor 50 Jahren Untergangsphantasien im Zeichen des Kalten Krieges.
Rotozaza II, 1967
Das Museum Tinguely präsentiert nach 1999 zum zweiten Mal die Rotozaza II, eine Bier-flaschenzertrümmerungsmaschine. Tinguely zeigte Rotozaza II beim Kongress Vision 67: Survival and growth. Second World Congress on Communication in a Changing World, der im Oktober 1967 im Loeb Student Center der New York University stattfand. Der Kongress, an dem Redner wie Umberto Eco, Willem Sandberg oder Viktor Vasarely auftraten, drehte sich um Fragen der Kommunikation in einer sich schnell verändernden Welt. Tinguelys Beitrag bestand aus einem Happening auf der Bühne des Loeb Student Centers. Von einer Sängerin und einem Posaunisten eingeleitet, kulminierte die Aktion mit der Performance der Flaschenzertrümmerungsmaschine.
Homage to New York, Museum of Modern Art, New York, 17. März 1960
Eine autodestruktive Maschine, die sich im Hof des Museum of Modern Art, New York vor Publikum selbst zerstört hat.
Jean Tinguely zeigte im Februar 1960 in der New Yorker Staempfli Gallery vier seiner im Vorjahr entstandenen Zeichenmaschinen Méta-Matic. Bereits auf der Überfahrt nach Amerika hatte Tinguely den Entschluss gefasst, eine sich selbst zerstörende Maschine zu bauen. Homage to New York entsteht im Garten des Museum of Modern Art aus mannigfaltigem Material, aus etwa 80 Fahrradrädern, einem Klavier, Kinderwagen und verschiedenen Maschinenteilen: insgesamt eine 16m lange, weisse Installation.
Am 17. März 1960 findet die eigentliche Zerstörungsaktion statt. Vor einem hochkarätigen Publikum zerlegt sich die Maschine in einem etwa 30 Minuten dauernden Happening. Die Selbstzerstörung geht nicht komplett planmässig über die Bühne. Ein Feuerwehrmann muss eingreifen, als das Klavier in Flammen aufgeht. Trotz alledem wird Homage to New York ein grosser Erfolg für den Schweizer Künstler. Die Zeitungen berichten, Tinguelys Name sei von einem Tag auf den anderen der amerikanischen Kunstszene geläufig.
Etude pour une fin du monde No 1, Louisiana Museum, Dänemark, 22. September 1961
Ein Happening zur Eröffnung der Ausstellung Rörelse i konsten (Bewegung in der Kunst), in dessen Verlauf sich die im Park des Museums in Humlebæk bei Kopenhagen aufgebauten Skulpturen zerstören.
Jean Tinguely gibt der Installation den Titel: Etude pour une fin du monde, sculpture monstre autodestructrice-dynamique et agressive. Es entstehen fünf grosse Skulpturen und einige kleinere aus Schrott und Gips - mit Dynamit und Feuerwerk zur Explosion präpariert. Die Skulpturen sind weiss bemalt und zum Teil mit glänzender Aluminiumfolie umwickelt.
Am Eröffnungsabend der Ausstellung wird die Installation in Gang gesetzt und vor versammeltem Publikum in die Luft gesprengt. Die Skulpturen explodieren, Feuerwerk steigt auf und zum Abschluss schwebt ein Fallschirm mit der französischen Trikolore zu Boden.
Study for an End of the World No 2, Las Vegas, 21. März 1962
Im Februar 1962 präsentiert Tinguely einige seiner Skulpturen in der Everett Ellin Gallery in Los Angeles und wird bei dieser Gelegenheit von der US-Fernsehanstalt NBC eingeladen, einen Programmteil für die damals überaus erfolgreiche News-Sendung David Brinkley’s Journal zu gestalten. Tinguely wählt als Ort für seine Study for an End of the World No 2 einen Platz namens Jean Dry Lake aus: ein ausgetrockneter See etwa 22 Meilen südlich von Las Vegas. Das Gebiet erinnert Tinguely an die Yucca Flats, der Ebene in Nevada, auf der bis 1992 Atomwaffen-Tests durchgeführt wurden. Während der Aktion sind nur wenige Personen anwesend: einige Journalisten, Polizisten, Helfer und natürlich das Filmteam der NBC, das bereits den Aufbau filmisch dokumentiert hat. Tinguely löst ausserordentlich heftige Explosionen aus. Es läuft nahezu alles nach Plan, wenn Tinguely auch feststellt, dass es im Grunde eine vermessene Idee sei zu erwarten, dass der Weltuntergang genau so abliefe, wie man ihn sich vorgestellt habe …
La Vittoria, Milano, 28. November 1970
Im November 1970 organisiert die Stadt Mailand gemeinsam mit dem Kunstverleger Guido le Noci und dem Kunstkritiker und Spiritus Rector des Nouveau Réalisme, Pierre Restany, ein Festival anlässlich des 10. Gründungstages der Künstlergruppe Nouveaux Réalistes.
Am Abend des 28. November 1970 hat Tinguely unmittelbar vor der Fassade des imposanten Mailänder Doms seinen Auftritt. Tinguely hatte versteckt unter einem Katafalk eine Skulptur vorbereitet, die er vor grossem Publikum enthüllt: Es ist ein riesiger, ca. sechs Meter hohe Penis, der langsam zu rauchen beginnt und anschliessend zunehmend Feuer(werk) spuckt. Zuletzt brennt die Konstruktion nieder, offenkundig angetrieben durch eine Person in einem silbrig glänzenden Feuerschutzanzug (Tinguelys Assistent Rico Weber). Der erwartete Skandal allerdings bleibt aus. Auf dem Platz selbst herrscht Amüsement und Begeisterung. Die Presse verschweigt am nächsten Tag die Aktion. Selbst die Aufnahmen des italienischen Staatsfernsehen RAI bleiben lange Zeit verborgen. Die skandalöse Aktion wird durch Nichtbeachtung und Verschweigen inexistent gemacht.